Diese Website verwendet Cookies. Warum wir Cookies einsetzen und wie Sie diese deaktivieren können, erfahren Sie unter Datenschutz.
Zum Hauptinhalt springen

Dr. Gerd Wiegel

Die AfD im Bundestag - ein Rückblick auf die aktuelle Sitzungswoche

Die Europawahlen rücken näher und werden von den Fraktionen des Bundestags zum Anlass genommen, ihre europapolitischen Positionen in Debattenthemen zu verdeutlichen. Für die AfD, deren Ausgangspunkt ja 2013 das EU-Thema war, läuft es in der Europafrage gegenwärtig nicht so gut. Das Brexit-Chaos lässt ihre Position für einen bedingten Dexit wenig attraktiv erscheinen und eine von der AfD in Auftrag gegebene Umfrage unter Wählerinnen und Wählern zeigt, dass selbst 50 Prozent der potenziellen AfD-Wähler_innen gegen einen Dexit sind. Grund genug für die Partei, noch schnell die Wahl-O-Mat-Frage zum Austritt Deutschlands aus der EU von „stimme zu“ auf „neutral“ umzustellen.

Die Bundestagsfraktion macht sich vor allem die verbreitete EU-Kritik an Bürokratie, Überregulierung und Zentralismus zu eigen, lässt aber die wirtschaftsliberale Grundlage und damit den Grund für das Ungleichgewicht der EU und die zunehmende Unzufriedenheit der Menschen in vielen Ländern völlig außer Acht. In der von der FDP beantragen Debatte zu den harmlosen Kühnert-Thesen zum Thema Enteignung stößt die AfD ins Horn der FDP und geißelt wie diese den „Bürokratismus“. Der AfD-Abgeordnete Hansjörg Müller geht jedoch weiter und plädiert nach wie vor klar für den EU-Austritt: „Unsere Unternehmen können nur dann vom existenzgefährdenden Bürokratismus befreit werden, wenn sie vom Moloch der EU befreit werden.“ (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 97. Sitzung, S. 11679) Als Konkurrenten um den wirtschaftsfreundlichsten Politikansatz begreift die AfD insbesondere die FDP, der Müller vorwirft “keine wirtschaftsliberale Partei mehr“ zu sein.

„Steuerrecht vereinfachen – Bürokratie abbauen“ heißt ein FDP-Antrag der Sitzungswoche, mit der die Partei ihre gutbetuchte Klientel weiter auf Kosten der Allgemeinheit steuerlich entlasten will. Der AfD-Abgeordnete Keuter beteuert: „Sie haben bei solchen Anträgen grundsätzlich die volle Unterstützung der AfD.“ (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 99. Sitzung, S. 12015) Noch heute trauert Keuter den neoliberalen Steuerkonzepten eines Paul Kirchhof nach, die sich auch die AfD zu eigen macht. Die Verhinderung der Steuerflucht großer Konzerne durch eine von der LINKEN geforderte „Konzerntransparenz“ ist dagegen mit der AfD nicht zu machen, denn damit würden Vorurteile geschürt und Gesellschaft und Wirtschaft gespalten: „Der Antrag schafft ein Klima der Wirtschaftsfeindlichkeit und des Klassenkampfes.“ (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 98. Sitzung, S. 11840) Panama Papers oder Steuerbetrug im Milliardenbereich – für die AfD kein Thema.

Die unbedingt nationalistische Orientierung des „Deutschland zuerst!“ war und ist Leitlinie des AfD Blicks auf Europa. Ihr Antrag „Rückabwicklung der Finanzhilfen für Griechenland“ macht diese Orientierung noch einmal deutlich. Selbst von der CDU, in Gestalt des Abgeordneten Rehberg, muss sich die AfD die sozial zerstörerischen Folgen ihrer Vorschläge für Griechenland vorhalten lassen, denn würde der Vorschlag der AfD umgesetzt, könnte der griechische Staat „keine Löhne, keine Gehälter und keine Renten mehr zahlen. Das trifft gerade die sozial Schwachen. Ihr Antrag ist verantwortungslos, und er ist menschenfeindlich.“ In den Reden der LINKEN-Abgeordneten Michael Leutert und Alexander Ulrich wird eine völlig andere, linke Kritik an der EU-Politik gegenüber Griechenland deutlich: https://dbtg.tv/fvid/7353159; https://dbtg.tv/fvid/7353168 

Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Bundesregierung ist eine minimale Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes einzig und allein nach den Nützlichkeitserwägungen des Kapitals. Für die AfD dagegen – die mit aller Macht am Thema Flucht und Migration festhalten will – ist es ein weiterer Schritt der ‚Umvolkung‘, wie es in ihren Kreisen heißt. Die Identitäre These vom bewussten Bevölkerungsaustausch wird vom AfD-Abgeordneten Curio Woche für Woche wiederholt: „Egal, ob wir die Leute überhaupt brauchen, Hauptsache mehr fremdkulturelle Zuwanderung. Keine Vorrangprüfung – also egal, ob ein Deutscher oder ein Europäer den Job machen könnte, Hauptsache außereuropäische Zuwanderung. Kein Nachweis der Gleichwertigkeit einer Qualifikation vor Einreise – ja erst hier Beginn einer Ausbildung. Also egal, ob überhaupt Fachkräfte kommen, wenn nur mehr Zuwanderung.“ (Ebd., S. 11714)

In bekannter Art entmenschlicht Curio dabei Individuen zu anonymen Massen, die als Schmarotzer und Betrüger erscheinen. Dazu dient die pauschale Titulierung als „fremdkulturelle Nichtfachkräfte“, genauso wie die Behauptung, „Lebensziel und Migrationszweck“ der Menschen sei „das Modell ‚Asylbewerber in Deutschland‘“: „Während Sie auf der Lauer liegen – mit Schmetterlingsnetz ausspähend nach diesem seltenen Geschöpf einer vorbeilaufenden deutschsprechenden Fachkraft aus dem Senegal, die sich hier auf Jobsuche selbst durchschlagen will –, spazieren zugleich Hunderttausende nichtausgebildete, fremdsprachige, fremdkulturelle Nichtfachkräfte illegal über die grüne Grenze, die immer noch völlig ungeschützt ist, und lassen sich hier mit Wohnung, Geld, Integrations- und Sprachkursen und allen Rechten ausstatten. Mal Mut zur Wahrheit: Das Modell „Asylbewerber in Deutschland“ ist nun einmal unschlagbar, ist Lebensziel und Migrationszweck für Millionen und schlägt jedes Einwanderungsgesetz.“ (Ebd., S. 11715)

Schließlich geht es darum, die Neuankömmlinge als Bedrohung und Konkurrenz vor allem der Unterklassen darzustellen, um nur ja den Gedanken von Solidarität oder gar die Frage nach Umverteilung von oben nach unten nicht aufkommen zu lassen: „Tatsächlich wird das Gesetz die Armutsmigration Unterqualifizierter anheizen. Pseudofachkräfte aus Afrika als Reservearmee von Niedriglohnsklaven werden die Arbeitsmarktlage für deutsche Arbeitnehmer weiter verschlechtern. Die Folge: Lohndumping im Niedriglohnbereich, Engpass am Wohnungsmarkt. Erst Hundertausende Migranten reinlassen und dann Wohnungsmangel beklagen. Überlastung der Städte durch Dauerzustrom in die Parallelgesellschaften – so wird die jetzt schon oft abgelehnte Integration immer aussichtsloser.“ (Ebd., S. 11714)

Ohne Zweifel ist der Gewöhnungseffekt hoch, wenn man Woche für Woche den AfD-Reden zum Thema Flucht und Migration lauscht. Die Rede des Parlamentarischen Geschäftsführers der Fraktion, Bernd Baumann, zu später Nachtstunde und zum LINKEN-Antrag „Solidarische Städte und kommunale Initiativen zur Flüchtlingsaufnahme unterstützen“ gehalten, ist aber ein besonders abstoßendes Beispiel des Zynismus, weil er die Not der Menschen, die sich auf den Weg machen, negiert und die Menschenverachtung von Rechtsregierungen wie in Italien oder Australien in Humanismus umdeutet: „Als in Italien noch die Sozialdemokraten regierten, 2016, starben im Mittelmeer 5 149 Menschen, elendiglich ertrunken, auf das Meer gelockt von kriminellen Schleusern und Menschenhändlern. Jetzt, im ersten Quartal 2019, waren es nur noch 289. Dieser Rückgang ist einzig und allein auf die erfolgreiche Grenzpolitik der neuen Regierung Italiens zurückzuführen. Meine Damen und Herren, wir gratulieren Matteo Salvini zu dieser großartigen und mutigen Leistung. Aber 289 Tote sind immer noch zu viel. Noch erfolgreicher sind die Australier, sie zeigen, wie man verhindert, dass Migranten im Meer ertrinken und Schlepperbanden profitieren. (…) Als die linke Labour-Partei noch in Australien regierte – bis 2013 –, starben 1 200 illegale Bootsmigranten vor den Küsten Australiens. Das Meer spülte zerstückelte Leichen von Kindern an. Haie hatten sie in den Gewässern zerfressen. Die neue, nun konservative Regierung begann 2013 ihr Programm ‚Souveräne Grenzen‘, eine breite Medienkampagne mit dem Titel ‚No Way‘ und machte in allen Herkunftsländern klar: Illegal Einreisende haben keine Chance, no way.“ (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 98. Sitzung, S. 11889) Italien und Europa sorgen heute dafür, dass die Menschen in den libyschen Folterknästen misshandelt werden und umkommen, dass sie in der Wüste verdursten, im Bombenhagel der Bürgerkriegsländer bleiben oder als stumme Opfer globaler Ungleichheit unsichtbar sind. Wofür sich Baumann bedankt ist die Tatsache, dass Leute wie Salvini dafür sorgen, dass die Toten wieder außerhalb des Gesichtsfeldes der Europäer vor die Hunde gehen.

Sozialpolitisch setzt die AfD bis heute keinerlei Akzente. Mit Blick auf die Wahlen ins Ostdeutschland will sie aber die soziale Flanke nicht zu groß werden lassen und legt beim LINKEN-Antrag zum Thema Ostrenten eigene ausgewählte Initiativen dazu, die richtige sozialpolitische Punkte ansprechen. Der AfD-Abgeordnete Pohl will aber auch dieses Thema identitätspolitisch aufladen, denn die Kritik am Redner der LINKEN, Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, richtet sich vor allem auf dessen ursprüngliche Herkunft aus dem Westen. Höcke, Gauland, Weidel, Meuthen – wohl keine Partei (außer der FDP) ist prominent so westdeutsch aufgestellt wie die AfD.

Alle Debatten können hier nachgelesen werden:

http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19097.pdf

http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19098.pdf

http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19099.pdf 


Dr. Gerd Wiegel ist Referent der Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag.