Diese Website verwendet Cookies. Warum wir Cookies einsetzen und wie Sie diese deaktivieren können, erfahren Sie unter Datenschutz.
Zum Hauptinhalt springen

Dr. Gerd Wiegel

Die AfD im Bundestag - ein Rückblick auf die aktuelle Sitzungswoche

Die AfD hat die erste Sitzungswoche des Jahres dazu genutzt, den Europawahlkampf einzuleiten. Während der Parteitag beschloss, den deutschen EU-Austritt vorzubereiten und als ersten Schritt die Abschaffung des EU-Parlaments zu fordern – von dem man jedoch, solange es noch Bestand hat, gerne die Diäten nimmt – versucht der Fraktionsvorsitzende Gauland die AfD als Ausdruck aller mehr oder weniger berechtigten Unzufriedenheit mit dieser EU zu platzieren. Die Law and Order-Partei AfD, die Vertreter einer rigiden Sparpolitik und des schlanken Staates, die Verächter einer Vermögens- und Erbschaftssteuer, macht sich verbal zum Anwalt der „Gelbwesten“ in Frankreich. Ganz in Straßenkämpfermanier führt der biedere Tweet-Jackett-Träger in der von der AfD beantragten Aktuellen Stunde mit dem Titel „Zustand der EU – Deutsch-Französischer Sonderweg“ aus: „Die auf zahlreichen Videos bezeugte polizeiliche Gewalt gegen sie [die Gelbwesten] ist maßlos. Es gibt inzwischen mindestens zehn Tote, die Zahl der Verletzten liegt im vierstelligen Bereich, ebenso die Zahl der Inhaftierten. Im Nachbarland herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände.“ (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 74. Sitzung, S. 8629) An Gaulands Ausführungen lässt sich der Radikalisierungsprozess eines ehemals Konservativen zum systemoppositionellen Präfaschisten nachvollziehen. Das Gewaltmonopol des Staates wird von ihm in Zweifel gezogen, ein schierer Horror für jeden Konservativen: „Frau Merkel hat sich auf bemerkenswerte Weise zu den Straßenschlachten geäußert: Die Möglichkeit zu protestieren, sei Teil der Demokratie, aber das Gewaltmonopol liege beim Staat.“ „Ist das nicht so?“, fragt entgeistert ein Zwischenrufer der Union. (Ebd., S. 8630) Die von der Kanzlerin wegen fehlender Kritik an der Gewalt von Seiten der „Gelbwesten“ angegriffene LINKE wird von Gauland mittels Gleichsetzung von Demonstrationsgewalt und Staatsgewalt verteidigt: „Da sie zu den Übergriffen der Staatsgewalt nichts gesagt hat, dürfen wir sie so verstehen, dass die Bundeskanzlerin diese Gewalt billigt, weil es Macron ist? Ich hoffe, nicht.“ (Ebd.) Und mit Blick auf den gerade abgeschlossenen Aachener Vertrag zweifelt er die Legitimität der französischen Regierung an: „Aber wie vertieft man die Verbindungen zu einem Land, das selbst dermaßen uneins und gespalten ist, zu einem Land, das die Regeln der Demokratie außer Kraft setzen muss, um die Opposition zu bekämpfen? Mehr als die Hälfte der Franzosen unterstützt laut Umfragen die Gelbwesten. Mit welchem Teil Frankreichs verhandeln wir eigentlich?“ (Ebd.)

Gauland schlüpft hier in die Rolle des national-sozialen Revolutionärs, wie sie schon sein Pendant Salvini in Italien einnimmt und wie sie die europäische radikale Rechte als Mobilisierungsmodell gegen die EU-Eliten für den EU-Wahlkampf nutzbar machen will. Macron ist dabei zum zentralen Feindbild dieser Rechten mutiert, weil er das elitäre EU-Europa ideal verkörpert. Nicht die sozialpolitisch desaströse Bilanz Macrons ist es, die ihn zu diesem Feind macht, sondern sein Versuch, diese Politik mit den Mitteln der neoliberal gepolten EU umzusetzen. Zwei Linien kapitalistisch grundierte Machtpolitik stehen sich hier gegenüber: die „globalistische“ der EU-Eliten und die national-soziale der modernisierten radikalen Rechten.

Wie eine scharfe Kritik der bestehenden EU von links aussehen kann, ohne die radikale Rechte zu legitimieren, zeigt Dieter Dehm in seiner Rede, die hier nachgehört werden kann: https://dbtg.tv/fvid/7317739 

Zum LINKEN-Antrag „Seenotrettung im Mittelmeer sicherstellen“ betreibt Armin Paul Hampel die Kriminalisierung privater Seenotrettung. Die NGOs werden von ihm mit den kriminellen Banden, die auf libyscher Seite die Not der Geflüchteten nutzen, auf eine Stufe gestellt: „An der Küste haben wir Banden von Schleppern, die übrigens nicht nur Menschenschlepper sind, sondern in der Regel auch in den Drogenhandel, den Waffenhandel und andere üble Geschäfte verwickelt sind. Die Schlepperbanden mit diesem kriminellen Hintergrund fahren mit den Schiffen hinaus, und dort warten schon die anderen Schleuserbanden, nämlich genau die Organisationen, die Sie hier gerade erwähnt haben. Es sind Schleuser – nichts anderes –, mit einem Unterschied: Ihre Schleusergruppen werden von Spendern und vom Steuerzahler bezahlt. Die Schleusergruppen an Land kassieren zwischen 1.000 und 2.000 Dollar pro Flüchtling. Das ist aber auch der einzige Unterschied.“ (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 74. Sitzung, S. 8680) Die von der AfD geforderte Festung Europa ist das Lösungsmodell für Flucht und Migration: „Sorgen Sie – wie die Australier – dafür, dass jeder, der es versucht, die Botschaft bekommt: You will never make your way to Europe. – Wenn diese Botschaft angekommen ist, wird der Strom nach Libyen und anderswo sehr schnell versiegen, weil sie wissen, dass sie keine Chance haben, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen, und erst recht keine Chance, dort zu bleiben.“ (Ebd., S. 8681)

Ist der „Fremde“ der äußere Feind, so ist es nach innen der „Linksextremismus“. „Verstärktes Vorgehen gegen Linksextremismus zum Schutz der Demokratie“ heißt ein Antrag der AfD-Fraktion dazu und Martin Hess begründet ihn im Plenum. Nach einer willkürlichen Aufzählung vermeintlich linker Gewalttaten dreht Hess als erstes an der Begriffsschraube: „Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird Zeit, dass wir die Dinge wieder beim Namen nennen. Als Polizist und Politiker sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit: Das ist kein Linksextremismus mehr, das ist Linksterrorismus.“ (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 75. Sitzung, S. 8773) Aus „Linksterroristen“ werden später „Staats- und Menschenfeinde“, die „mit aller Konsequenz und mit aller Härte“ bekämpft werden müssten (Ebd., S. 8774). Konkret fordert die AfD das Verbot der Interventionistischen Linken, die eine „unbestreitbar“ verfassungsfeindliche Organisation sei. Ob es klug ist, genau in der Woche das „Extremismusthema“ zu reiten, in der man selber vom Verfassungsschutz angezählt wird, muss die AfD wissen. Während ihre Beobachtung (Prüffall) natürlich rein politisch motiviert sei, handelt es sich bei ihren Behauptungen gegen links um unbestreitbare Tatsachen. André Hahn begründet in seiner Rede, warum DIE LINKE nicht den Verfassungsschutz benötigt, um die AfD als das zu erkennen, was sie ist: https://dbtg.tv/fvid/7318005 

Während die AfD sich verbal häufig als Kraft gegen die herrschenden Eliten inszeniert, macht sie z.B. in der Bildungspolitik ihren elitären und bildungsbürgerlichen Standpunkt immer wieder deutlich. In der Debatte zur „Bildungsstrategie und Abbau sozialer Ungleichheit“ geht es dem Redner der AfD, Dr. Götz Frömming, vor allem darum, den Zugang zu höherer Bildung wieder einzuschränken. Die gestiegene Abiturquote ginge auf Kosten des Niveaus, ebenso der breitere Zugang zu Hochschulbildung. Konsequenz der AfD: „Eingangstests an den Universitäten.“ (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 75. Sitzung, S. 8798) Neben dem Zustrom aus den Unterklassen wird aber – wie könnte es anders sein – die Migration als Hauptverantwortliche der angeblichen Niveausenkung angeprangert: „Durch Zuwanderung, so wie sie bisher organisiert ist oder vielmehr nicht organisiert ist, verschärft sich das demografische Problem, werden die sozialen Probleme im Land größer, nicht kleiner und unser ohnehin angespanntes Bildungssystem an den Rand des Kollapses gebracht.“ (Ebd.) Marc Jongen als Kulturkampf-Chefideologe legt hier kräftig nach. Für ihn wird „aus der Bildungsnation Deutschland ein Betreuungsgebiet für Schwer- bis Unbeschulbare aus aller Welt gemacht“, (Ebd., S. 8805) womit die Geflüchteten gleich zu „Unbeschulbaren“ für immer und ewig erklärt werden. Jongen macht das Gesellschaftsbild des konservativen Reaktionärs noch einmal deutlich, wenn er nicht Staat und Gesellschaft sondern die Familie zum zentralen Angelpunkt für möglichen Bildungserfolg macht: „Liebe Kollegen, man kann nicht alles auf die Gesellschaft schieben. Es ist auch eine Aufgabe der Elternhäuser, für Bildung und Bildungsbereitschaft ihres Nachwuchses zu sorgen. Und es ist eine Bringschuld der Migranten, diese Bildungsbereitschaft vorzuweisen, wenn sie bei uns leben wollen. Deutschland kann nicht die Weltförderschule werden.“ (Ebd.) Genannt werden die Migrant_innen, gemeint sind aber die subalternen Klassen generell, denen eine Partei wie die AfD ihren Platz am unteren Ende der Bildungsskale zuweist. Dem emanzipatorischen Anspruch, diesen Ausdruck von Klassengesellschaft mittels Politik zu verändern, erteilt Jongen eine klare Absage: „Ein solcher Glaube an Gesellschaft und Sozialklempnertum ist natürlich klassisch linke Denke, die hat Frau Merkel vielleicht damals in der DDR aufgesogen und in kleinen Dosen an Sie in der CDU verabreicht, sodass Sie es nicht richtig mitbekommen haben.“ (Ebd.)

Die „Klimaleugner-Positionen“ der AfD lassen sich Woche für Woche im Parlament hören und sind ein Bespiel für den rational nur schwer zu führenden Diskurs mit dieser Partei. Ein Beispiel lässt sich hier hören: https://dbtg.tv/fvid/7318274. Besser ist es aber noch in der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der AfD formuliert: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/068/1906899.pdf 

Alle Debatten können hier nachgelesen werden:

http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19074.pdf

http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19075.pdf


Dr. Gerd Wiegel ist Referent der Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag.